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Zum Weltfrauentag - Die Erschöpfung der Frauen

Tue, 08 Mar 2022 21:47:06 +0000 von Schulpastorin und Notfallseelsorgerin Sophie Schäfer

Dieser Beitrag ist ein Zitat des unten angegebenen Artikels. 

Franziska Schutzbach, 43, ist Soziologin und Geschlechterforscherin. Sie hat zwei Kinder, lehrt an mehreren Universitäten und ist in Deutschland aufgewachsen. Ihr Buch »Die Erschöpfung der Frauen« wurde in der Schweiz, wo sie lebt, ein Bestseller.

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Schutzbach: „Das Urteil, eine schlechte Mutter zu sein, schiebt eine Frau noch immer ins gesellschaftliche Abseits.“ [..]

SPIEGEL: Und was genau zeichnet eine gute Mutter nach dieser Lesart aus?

Schutzbach: Sie sorgt für einen Ort der Erholung und Geborgenheit, an dem sich die Familie wohlfühlt und die Kinder sich gut entwickeln. Dieses Heim ist der Gegenpol zu der kalten feindlichen Welt da draußen, in der sich spätestens seit der Industrialisierung traditionell der Mann durchsetzen musste: in den Fabriken, auf den Schlachtfeldern, an den Börsen. Er brauchte Härte, sie aber Fürsorge und Mitgefühl. Das ist etwas holzschnittartig formuliert, aber im Kern das Prinzip. Und das hieß im Umkehrschluss, dass die Mutter schuld war und ihre Rolle nicht ausfüllte, wenn die Kinder sich schlecht entwickelten. Bis heute werden Probleme, die ein Kind haben mag, unterschwellig auf mütterliches Versagen zurückgeführt.

SPIEGEL: Übertreiben Sie da nicht?

Schutzbach: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wenn ein Vater seine Kinder nach der Scheidung nur an jedem zweiten Wochenende sieht, ist das gesellschaftlich akzeptiert. Handelt es sich aber um eine Mutter, gilt sie als suspekt und wird in eine Schublade gesteckt: karrieregeil, kaltherzig, Rabenmutter. Und man kann dieses Muster weiterdenken. Frauen, die sich nicht mütterlich verhalten, haben in der Öffentlichkeit oft ein Imageproblem.

SPIEGEL: An wen denken Sie?

Schutzbach: Studien zeigen, dass Professorinnen schlechter beurteilt werden als ihre männlichen Kollegen, wenn sie Studierende nicht sonderlich empathisch betreuen. Den Männern wird ein derartiges Verhalten hingegen als wissenschaftliche Nüchternheit ausgelegt. Oder denken Sie an Hillary Clinton. Viele, die sie 2016 in den USA nicht zur Präsidentin gewählt haben, gaben hinterher an, sie wirke zu gefühlskalt.

SPIEGEL: Aber ist Hillary Clinton nicht gerade ein Beispiel dafür, dass sich viele Frauen längst vom traditionellen Rollenbild emanzipiert haben? Es gibt zahlreiche Beispiele dafür, auch besonders prominente in der Politik, der Wirtschaft, der Kultur und in den Medien.

»Erhebungen zeigen, dass Männer seit ihrer Zeit im Homeoffice besser nachvollziehen können, wie anstrengend Fürsorgearbeit ist.« 
Schutzbach: Natürlich, es gibt Frauen, die sich der Erwartungshaltung entziehen und es schaffen, sich autonom zu verhalten. Aber Hillary Clinton wurde unter anderem deshalb nicht gewählt. Anders gesagt: Unangepasste Frauen erfahren oft Sanktionen. Und es kann ziemlich anstrengend werden, sich gegen die allgemeine Erwartungshaltung zu stellen. Das erschöpft Frauen – genauso wie sie die Sorge erschöpft, all den Ansprüchen an sie nicht gerecht zu werden.

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„SPIEGEL: Nun werden Ihnen zahlreiche Männer widersprechen – teilweise zu Recht –, weil sie diese Aufgaben [im Haushalt und in der Versorgung von Kindern und Verwandten] ebenfalls übernehmen.

Schutzbach: Es gibt diese Männer, auf jeden Fall. Und manche Erhebungen zeigen, dass Männer seit ihrer Zeit im Homeoffice besser nachvollziehen können, wie anstrengend Fürsorgearbeit ist, weil sie zu Hause stärker eingebunden waren. Aber gemessen an der Gesamtzahl sind das Einzelfälle. Frauen arbeiten durchschnittlich mehr am Tag als Männer, wenn man die unbezahlte Care-Arbeit dazu rechnet. Global gesehen übernehmen sie drei Viertel der pro Tag geleisteten unbezahlten 16,4 Milliarden Stunden Care-Arbeit. Die Soziologin Arlie Hochschild sprach schon in den 1980er-Jahren von der »doppelten Schicht«, Frauen seien zunehmend berufstätig, gleichzeitig ändere sich nichts an ihrer Hauptzuständigkeit für Haus- und Familienarbeit. Das ist bis heute so.“



Schutzbach: „Die Gesellschaft zieht sich zurück und verlagert die Verantwortung ins Private. Frauen sind davon besonders betroffen, wir leben auch in einer Zeit, in der sich eine Art Fratze der Emanzipation zeigt.

SPIEGEL: Wie meinen Sie das?

Schutzbach: Frauen sind in die Arbeitswelt und in die Politik vorgedrungen, theoretisch dürfen sie ein selbstbestimmtes Leben führen: Sex haben, mit wem sie wollen, sich scheiden lassen, ihre eigenen YouTube-Kanäle aufsetzen.

SPIEGEL: Wo liegt dann das Problem?

Schutzbach: Frauen dürfen alles, sollen aber auch alles. Sie werden nach wie vor bei allem, was sie tun, viel stärker als Männer beobachtet. Sie müssen in allen Bereichen, die sie erobert haben, beweisen, dass sie genauso gut sind. Das ist, auch wenn es zuweilen als feministisches Gerede abgetan wird, durch Zahlen zu belegen. Im Mittelwert müssen Frauen viel mehr leisten wie Männer, um gut dazustehen – und das nicht allein in Führungspositionen. Nur wenn sie den Erwartungen an Leistung und Verhalten möglichst perfekt entsprechen, haben sie die Chance, weiterzukommen. Und gleichzeitig sollen sie immer noch die traditionellen Aufgaben von Fürsorge und Hausarbeit erfüllen. Viele Frauen verausgaben sich dabei so sehr, dass sie irgendwann nicht mehr können. Sie sind dann so erschöpft, dass sie gar nicht mehr im Wettbewerb mitspielen können. So gesehen müssen wir darüber reden, inwiefern die neuen Freiheiten für Frauen wirklich neue Freiheiten sind.“

»Frauen müssen den Nachweis erbringen, dass sie zu Recht überall mitspielen.«
 

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Schutzbach: Die Coronakrise hat gezeigt, dass unsere Gesellschaft ohne Fürsorgearbeit nicht bestehen kann. Und wie paradox es ist, dass diese Arbeit trotzdem nicht wertgeschätzt wird. Wenn jene, die sie leisten, dafür nicht anerkannt werden, steigert das ihre Erschöpfung. Irgendwann können sie nicht mehr und fallen aus. Das Muster ist auch in den klassischen Fürsorgeberufen zu beobachten: beim Pflegepersonal in den Krankenhäusern, bei Erzieherinnen. Alle Menschen sind in ihrem Leben phasenweise krank oder hilfsbedürftig – in der Kindheit, aber auch als Erwachsene. Wir müssten diese grundsätzliche menschliche Verletzlichkeit ins Zentrum unserer politischen und ökonomischen Überlegungen rücken, sonst zerstören wir am Ende die Grundlagen unserer Existenz.“

Quelle:

Quelle: https://www.sueddeutsche.de/kultur/franziska-schutzbach-die-erschoepfung-der-frauen-1.5460066
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