© Sophie Schäfer

Du bist stark, indem Du da bist.

Thu, 02 Dec 2021 19:04:43 +0000 von Schulpastorin und Notfallseelsorgerin Sophie Schäfer

Lieber Anton,

wie schwierig ist die Situation, in der Du Dich befindest. Dass Du Dich nicht konzentrieren kannst, ist in all dem Unnormalen ganz normal. Kein Mensch könnte das. Deine Freundin hat sehr gelitten und Du hast das Gefühl, ihr "nicht genug" helfen zu können. Was wäre "genug"? Und auf der anderen Seite: Was ist Dir überhaupt möglich?

Du hast beschrieben, dass Du für sie da bist, ihren Rückzug erträgst, und dass Du ihr zuhörst, immer wieder. Diese Liebe, Fürsorge und Geduld ist ein Engelsdienst, der sich kaum steigern lässt. Du kannst das Leid nicht von ihr nehmen. Aber Du begleitest sie auf ihrem steinigen Weg. Du bist dabei, ein starker Fels in der Brandung, der da ist, wenn alles andere weggespült ist. Das ist sehr selten, kostbar und - wie ich finde - bewundernswert. Du bist stark, indem Du da bist.

Es ist kein Zeichen von Schwäche zu weinen. Du sagst, Du willst sie nicht belasten, indem Du weinst. Aber auch ihr geht es so. Auch sie will Dich nicht belasten und weint deshalb nicht. Sie kann deshalb auch nur wenig reden. Könntest Du Dir vorstellen, dass Du Dir selbst erlaubst zu weinen? Vielleicht wäre es eine Erleichterung einfach mal so sein zu können, wie man sich wirklich fühlt. Keine Rolle übernehmen. Die Rüstung ablegen. Die Verzweiflung auch mal rauslassen. Vielleicht würde ihr das auch die Möglichkeit bieten zu weinen. Weinen ist nichts Schlechtes. Das kann eine Erlösung sein und Erleichterung bringen. 

Und doch sind Deine Möglichkeiten die Situation aktiv zu verändern sehr begrenzt. Natürlich ist es schwer zu ertragen "ohnmächtig" zu sein, und nicht verändern zu können, was einen so sehr belastet. Und trotzdem ist es wichtig zu wissen, dass manches außerhalb des eigenen Einflussbereiches liegt. Es ist das Aushalten, das die Leistung ist, in der Hilfe liegt. Du erträgst ihr Leid und wendest Dich nicht ab. Du gehst mit ihr durch das tiefe Tal. Das ist unendlich viel wert. Deine Liebe heilt, und doch wird es nötig sein, dass Du Euch beiden Zeit zugestehst. Es braucht sehr viel Zeit und Geduld mit sich und dem anderen. Du bist ihr Partner, nicht ihr Therapeut. Du kannst sie weiterhin ermutigen eine Therapie anzufangen und ihr bei der Therapeutinnensuche helfen.

Ja, es ist für Euch keine schöne Adventszeit, das kann ich mir gut vorstellen. Und das muss es auch nicht sein. Nehmt Euch die Zeit für das, was gerade anliegt. Wie geht es Euch? Was braucht sie, was brauchst Du? Redet miteinander. Kümmert Euch um den heutigen Tag, scheibt jede kleine Verbesserung (oder Veränderung) auf. Sammelt gute (Paar-)Momente, schreibt auch sie auf, aber auf kleine Zettelchen, die ihr in ein Gefäß steckt. Und in schlechten Zeiten könnt ihr sie Euch ansehen.

Ich wünsche Euch beiden Zeit, Geduld und Liebe.

Herzliche Grüße

Sophie
Quelle: Sophie Schäfer
Stark zu zweit. Manchmal braucht es eine ganz neue Annäherung. Das ist schwer für beide. Ein Partner kann ein Segen sein.
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