© Sophie Schäfer

Überlegungen zur Cancel Culture

Thu, 23 Sep 2021 05:55:22 +0000 von Schulpastorin und Notfallseelsorgerin Sophie Schäfer

Cancel Culture ist ein Begriff, den ich selbst noch gar nicht so lange kenne. Aus meiner Beobachtung kam der erst in den letzten Jahren auf.

Dieses Thema ist extrem emotional aufgeladen, weshalb ich es schätze möglichst sachlich darüber nachzudenken. 

Für die letzten etwa 10 Jahre stelle ich fest, dass die Sensibilität für eine gleichberechtigte Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen und Mitglieder gestiegen ist. 

Zugleich sind die Extrempositionen lauter geworden. Einerseits gibt es sehr Motivierte, die Diskriminierungen entdecken, welche sonst kaum jemand sieht, andererseits gibt es die „Gender-Hasser“, die jede (sprachliche) Veränderung (fast militant) ablehnen.

Wenn ich versuche zu verstehen wie ein gefühltes Klima in diesem Terminus (cancel culture) subsummiert werden konnte, überlege ich, ob dafür drei Gründe in Frage kommen:

1.    Die Individualisierung bringt die Zumutung mit sich, dass jeder Einzelne alle im Leben relevanten Fragen selbst „für sich“ klären muss. Es gibt kaum noch tradierte Ordnungen, die das Leben erleichtern. Ich glaube, dass das eine Überforderung darstellen kann, mit der bei manchen eine gewisse Dünnhäutigkeit einhergeht.

2.    Bisherige Ordnungen werden in Frage gestellt. Ich glaube, dass es besonders für junge Männer sehr schwierig sein kann, ihre Rolle zu finden. Frauen arbeiten und kommen selbständig klar. Das kann als Kränkung aufgefasst werden, wenn ein Mann sich über seine Rolle als Ernährer und pater familiae definiert hat. 
Ich glaube manchmal, dass es mehr Wertschätzung für Männlichkeit „an sich“ braucht, ohne Fixierung auf männliche Rollenzuschreibungen, damit die dazugewonnene Freiheit auch Männern ein Gewinn sein kann (Hausmann sein, sich um Kinder kümmern). 

3.    Das Anderssein des Anderen stellt die eigene Identität permanent in Frage. Mittlerweile ist die Gesellschaft sehr bunt. Durch das offensichtliche Anderssein des Anderen erfährt das Individuum keine Bestätigung, sondern eine Infragestellung des eigenen Ich. Es braucht eine gewisse Sicherheit um mit der permanenten Infragestellung wertschätzend umzugehen. Ein fragiles Selbst kann im Ozean der Möglichkeiten verlorengehen.
Quelle: Sophie Schäfer
Eine Dahlie auf sterilem Grund.
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