© Sophie Schäfer

Überlegungen zur Cancel Culture - Fehlerfreundlichkeit

Thu, 23 Sep 2021 15:43:58 +0000 von Schulpastorin und Notfallseelsorgerin Sophie Schäfer

Da ich mit vielen Menschen rede, hatte ich die Chance viele Erfahrungen und Sorgen zu hören. Ich beobachte, dass manche Menschen nach Trennungen bitter werden und eine Umwertung ihrer Erlebnisse vornehmen: Eigentlich waren sie zufrieden in ihrer Beziehung. Dann trennt sich der Partner unvermittelt und die Kränkung geht automatisch mit einer Abwertung des Ex-Partners einher, um das Selbst zu stabilisieren. Dementsprechend wird auch infrage gestellt, wie man so viel Zeit mit einem so gruseligen Menschen in Partnerschaft verbringen konnte.

Ähnliches vermute ich für die cancel culture im Makrokontext. Lange Zeit waren Patriarchat und Kolonialismus allgemein geduldete Normalität. Je mehr Menschen merkten, dass die Freiheit des Einen auf Kosten des Anderen basierte, desto mehr distanzierte man sich vom bisherigen Konsens. Das könnte weiterführend sein, wäre da nicht die nachträgliche Abwertung des Bisherigen qua Verbannung. Ich glaube, um Identität zusammenzuhalten, ist es nötig, reflektiert und verantwortungsbewusst mit der Vergangenheit umzugehen und nicht so zu tun, als sei sie nie passiert. Wenn mittlerweile Statuen von Columbus etc abgerissen werden, Menschen aus Ämtern entfernt oder öffentlich geächtet werden, weil sie (einmal) Unüberlegtes gesagt haben, …., denke ich, dass das oft zu schnell und zu weit geht. 

Natürlich ist es wichtig auf seine Sprache zu achten und sich respektvoll und allgemeinverträglich zu benehmen. Und zugleich glaube ich, dass ein gewisses Maß an Fehlerfreundlichkeit notwendig ist, um in einer Gesellschaft zu überleben.

Es ließe sich also überlegen, ob man die Columbus Statue stehen lässt und um einen Indigenen und eine Info-Tafel erweitert. Denn es ist nicht nur die Geschichte von Columbus, sondern auch die der Indigenen. Diese Geschichte sollte erzählt und nicht verbannt werden, damit man aus ihr lernen kann. 

Morgen mehr
Quelle: Sophie Schäfer
Edith Cavell - in England steht eine Skulptur, die an sie erinnert. Sie ist ein Vorbild für Menschlichkeit inmitten einer fehlerhaften Welt.
Kommentare

Bitte melde Dich an, um einen Kommentar zu schreiben...

Bestätigen

Bist du sicher?