Liebe Klassen,
Ihr fragtet mich, ob ich Squid Game gesehen hätte.
Nein. Nicht eine Minute davon.
Ich habe einen Artikel über diese „erfolgreiche“ Serie gelesen und mit Euch geredet. Ich weiß also, dass es in der Serie um die Veranstaltung und Durchführung unterschiedlicher Kinderspiele durch wenige reiche Menschen geht, an denen verschuldete Menschen teilnehmen, in der Hoffnung, als einziger Gewinner einen hohen Geldbetrag zu bekommen, der Freiheit und Teilnahme am sozialen Leben ermöglicht. Allerdings werden alle Menschen, die bei den Spielen aus irgendwelchen Gründen ausscheiden, erschossen.
Erfolg bemisst sich aber nicht nur an Klickzahlen, sondern auch an dem, was der Konsum mit einem Menschen macht. Ginge man nach letzterem Kriterium wäre diese Serie echt lame bis schädlich, denke ich, und in keiner Weise erfolgreich, weil sie einfach keine positive Botschaft transportiert und Menschen in keiner Weise positiv zu beeinflussen vermag.
Ich würde grundsätzlich und uneingeschränkt empfehlen, sich die Serie *nicht* anzusehen.
Die Kraft der Bilder wird unterschätzt. Bilder können mächtig sein, hängen bleiben, belasten und verängstigen. Es ist völlig unnötig sich diesem Stress auszusetzen und im Anschluss ggf daran arbeiten zu müssen, die Bilder wieder loszuwerden, die sich eingefressen haben.
Dass ausgerechnet unschuldige Kinderspiele in Verbindung mit Kapitalverbrechen gebracht werden, invadiert die Welt der Kinder, pervertiert das kindliche Spiel und verbindet Welten miteinander, die besser getrennt bleiben sollten. Wenn auch hier in Deutschland schon GrundschülerInnen Szenen der Serie nachspielen und sich als „Strafe“ fürs „Verlieren“ schlagen, dann ist das genau das Gegenteil von dem, was ich als Christin in die Welt zu tragen versuche. Die christliche frohe Botschaft ist ja, dass vor Gott jeder Mensch gleich viel wert ist, ganz unabhängig von seinen Leistungen. Gottes Liebe geht weit über das hinaus, was Menschen erkennen und geben können. Wer den anderen Menschen als so geliebt und kostbar erkennt, wird sein Leben schützen wollen, den Gebrochenen aufrichten wollen – und nicht töten.
Durch die filmische Darstellung der Gewalt und die Reduktion und Herabwürdigung menschlichen Lebens als vernichtbare abgeschriebene Wirtschaftsgüter, befeuert die Serie, was sie (möglicherweise) kritisiert.
Wenn SchülerInnen die Mentalität einer Bestrafung für nicht erbrachte Leistung in ihr Spiel integrieren und den Wettbewerb auf ihr Miteinander übertragen, befördert das die Vereinzelung der Gesellschaft vermutlich mehr, als sie es problematisiert.
Gleiches gilt für die Gewalt, die in der Serie wohl nicht zu knapp angewandt wird.
Meine Sorge ist eine Abstumpfung derer, die gewaltverherrlichende Serien wie diese sehen. Junge Menschen bewässern die Saat der Gewalt, die nach häufigem Konsum auch aufgehen kann. Sei es in Respektlosigkeiten oder einem Menschenbild, das den Anderen als wertlos betrachtet.
Ein weiterer Dorn im Auge ist mir die Kultur des Nicht-Verzeihens. Wer eins dieser Spiele verliert, wird ermordet. Da gibt es kein Pardon, keine Begnadigung, keine zweite Chance. Das ist zutiefst unmenschlich und wird von vielen Menschen gewohnheitsmäßig eher akzeptiert als kritisiert. Ich denke a den Fall mit Gil Ofarim und seiner Davidstern-Kette, die auf keinem Überwachungskamera-Video zu sehen war, die er aber trotzdem als Grund für Diskriminierung anführte. Ich rief – als Details noch nicht bekannt waren - zu Solidarität auf. Über den Beschuldigten verlor ich kein Wort. Später warb ich für Barmherzigkeit beiden gegenüber. Aber für viele Menschen scheint es eine Normalität zu sein, den Beschuldigten ächten zu müssen, wenn man dem vermeintlichen Opfer glaubt. Interessanterweise gab es Hassreden sowohl gegen den Hotelangestellten als auch gegen Ofarim. Sinnvoll wäre eher eine Kritik durch die filmische Darstellung, was solche Hassrede mit Menschen macht, wie es sie in ihrem Leben beeinträchtigt. Eine gewaltverherrlichende Serie wie Squid-Game wird kaum zu einem Mentalitätswechsel beitragen.
Die freie und nicht-soziale Marktwirtschaft, also der Liberalismus, der Kapitalismus werden zwar kritisiert, aber auf eine so „unterhaltsame“ Weise, dass erstaunlich viele Menschen von der Kritik nichts mitbekommen (Referenzpunkt junge Menschen/Schule). Wer die gesellschaftlichen Voraussetzungen des „Spiels“ ausblendet an eine Freiwilligkeit der TeilnehmerInnen am Spiel glaubt, und die Durchführung des „Spiels“ sogar im wahren Leben befürworten würde, weil er meint, die Teilnehmer seien „selbst schuld“, hat die Idee der Menschenrechte verabschiedet und die Tore für ein legales Gemetzel geöffnet.
Als Gesellschaftskritik wäre diese Idee als Buch gewiss besser umgesetzt gewesen, weil sie dann nur das Publikum erreicht hätte, das sich wirklich mit Gesellschaftskritik auseinandersetzen will. Man muss sich den Inhalt lesend erarbeiten. Auf Netflix hingegen ist es theoretisch für jeden jeder Zeit verfügbar und abrufbar und in aller Heimlichkeit gibt es auch für Kinder keine Hürden sich die Serie zumindest in Teilen anzusehen. Die hürdenlose Verfügbarkeit und das passive Ansehen führt dazu, dass viele Menschen die Serie sehen, die keine Ahnung von Gesellschaftskritik haben, geschweige denn den Transfer derselben auf die Serie leisten können.
Deshalb erwähne ich auch an dieser Stelle nochmal die Jahreslosung, mit der man nichts falsch machen kann:
„Seid barmherzig, wie auch Euer Vater (im Himmel) barmherzig ist.“ Lukas 6,36