Ich frage mich, ob jemand diesen Satz aussprechen kann, ohne innere Widerstände wahrzunehmen. Ich frage mich, ob jemand wirklich überzeugt sein kann, dass jeder ausschließlich selbst für das Gelingen des Lebens zuständig ist.
Dieser Satz geht, denke ich, Menschen eher über die Lippen, die es im Leben trotz gewisser Widrigkeiten „zu etwas gebracht“ haben.
Das Leben ist hart, aber dieser Satz ist noch härter, weil er suggeriert, dass es möglich wäre, dass ein Mensch aus eigener Kraft lebt. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das gar nicht möglich ist. Die Bedingungen sind derartig zutiefst unterschiedlich und unvergleichlich, dass dieser allgemeine Satz einfach über die schlimmsten Schwierigkeiten hinwegbügelt, statt sie anzuerkennen.
Während das eine Baby als geliebtes Wunschkind wohlhabender, gebildeter Eltern auf die Welt kommt, ist das andere Kind unerwünscht und lediglich eine Belastung, die an den verhassten Expartner erinnert. Dass diese beiden Biographien unterschiedlich verlaufen werden, ist zu erwarten.
Wie genau Menschen sich entwickeln, hängt aber nicht nur von solchen Rahmenbedingungen ab, sondern auch vom individuellen kognitiven Vermögen zu abstrahieren, von Vorbildern, die sie prägen, von Begegnungen, die sie machen, von Beziehungen, die sie eingehen.
Es gibt vieles, was Menschen beeinflussen können, aber noch mehr an Faktoren, die gegeben sind und damit den Raum vorgeben, innerhalb dessen eine Biographie vermutlich ihre Entfaltung finden wird. Alleine kommt niemand sehr weit. Denken Sie an sich: Wer hat Sie geprägt, Ihnen die Richtung gezeigt, Ihnen Mut zugesprochen? Wieviel ist erarbeitet, wieviel ist verdankt? Letzteres ist oft überraschend viel.
In der Mitte des Jahres möchte ich an dieser Stelle nochmal Werbung für die Jahreslosung machen:
Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch Euer Vater barmherzig ist! - Lukas 6,36